Abschied und ein Trip zum Dach der Welt
Es heisst Abschied nehmen von Indien!
Nach einem knappen halben Jahr geht’s bald wieder in die Heimat – mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Mein letzter Eintrag liegt lange zurueck, als mein Vater und ich noch am Fusse des Himalaja, in Rishikesh, standen. Unser naechstes Ziel war Shimla, jedoch musste erst eine lange Busfahrt hinter uns gebracht werden. Wir erreichten erschoepft Chandigargh, eine durch und durch untypische indische Stadt, weil sie von dem franzoesischen Architekten LeCorbusier entworfen wurde. Nach einer Nacht bestiegen wir im Nachbarort Kalka eine Schmalspurbahn und verbrachten die naechsten sechs Stunden auf dem Weg nach Shimla, der Hauptstadt von Himachal Pradesh. Auf 2500 Metern Hoehe erwartete uns eine traumhafte Stadt, in der die Wege sich um sieben Gipfel winden und die Haeuser im Fachwerkstil gebaut oder gleich als schottische Festungen entworfen wurden. Hierher verlegten die Englaender in den heissen Monaten ihre Hauptstadt und der beruehmte Reisende Thomas Cook liess sich hier fuer zwei Jahrzehnte nieder.
Am Bahnhof wurden wir von Anil in Empfang genommen. Ich hatte ihn fast zwei Monate vorher in der Wuestenstadt Jaisalmer kennen gelernt und er sollte fuer die naechsten Wochen unser Freund und Fuehrer durch die Berge sein. Nach einer Eingewoehnungsphase in Shimla – die Luft ist doch duenn in solcher Hoehe – und einer gewaltigen Geburtstagsparty am ersten Weihnachstag mit Anils Familie, setzten wir uns mit einem Fahrer in ein kleines Auto und machten uns zu den grossen Bergen auf. Unsere Route verlief im Groben rundum das Sutlej-Tal, von Shimla bis zur letzten Tankstelle vor Spitti, das geheime Plateauland im Himalaja. Das Reisen in Indien war fuer mich nie vom Komfort gepraegt, das Reisen in den Bergen aber ist besonders anstrengend im indischen Winter: Die Hotelzimmer, so gut sie auch waren, hatten bei Temperaturen knapp ueber 0 Grad keine Heizungen und selten einer gute, warme Dusche, ausserdem machte die duenne Luft das Wandern erschwerlich. Was wir so richtig merkten, als wir einen fuenf Kilometer langen Anstieg zum „Schreibtisch“ Anils unternahmen – dem Hatu Peak. Auf dreineinhalbtausend Metern erklaerte uns Anil den Bergzug, den wir vor uns sahen. 6000er und 7000er!
Unser noerdlichster Punkt hiess Sarahan, eine Stadt auf 2500 Metern die einen knapp 1000 Jahre alten Tempel beherrbergt. Wir im Westen kennen Kali als blutruenstige, mit Totenkoepfen behangene Goettin, fuer die es in alter Zeit Menschen- und heute noch Tieropfer gibt. Im Norden von Indien ist sie jedoch die meistvergoetterte Version von Parvati, Shivas weise Partnerin. Die Berge in dieser Umgebung koennen einem in vielerlei Hinsicht den Atem rauben und die kahle Landschaft liess mich raetseln, warum Menschen dort oben leben wollen. Als wir jedoch auf unserem Rueckweg auf 1000 Metern ankamen und unsere Glieder in dem heissen Heilquellen von Tattapani entspannen konnten, erwartete uns ein paradiesisches Tal mit Palmen, Bananen, Chillifelder, Orangen, Papayas, Mangos ...
Nach dem Abschied von Anil in Kalka verbrachten wir beiden Sylvester im Zug Richtung Delhi, wo ich meinen Vater ins Flugzeug setzte und noch ein paar Tage verbringen werde. Hier sah ich zum ersten Mal nach Monaten Regen (wir hatten allerdings Schnee in Himachal Pradesh).
Nach geschaetzten 5000 Kilometern Reise vom Sueden in den Norden kann ich sagen, dass ein paar Monate nicht ausreichen, um dieses Land vollstaendig kennen zu lernen – ich bin mir nicht sicher, ob ein Leben reicht. Aber einen guten Eindruck habe ich von dem Subkontinent bekommen, dessen Menschen in der Regionen so verschieden sind. Und eben diese werde ich neben den fantastischen Straenden, gewaltigen Bergen und Bauwerken wohl am meisten vermissen. Allen voran gilt mein Dank meinen Jungs aus Manipal: Santosh, Rohan, Jeetendra und Govind – take care...
Henning
(oben seht ihr das nebelverhangende Shimla)