In der Ferne

Ein halbes Jahr in Indien. Hier schreiben wir unsere Erlebnisse nieder. Fuer Euch umsonst, natuerlich.

Dienstag, Juli 26, 2005

Hygiene


Der „Kulturschock Indien“, eine unter Einheimischen wohl nicht sonderlich beliebte, weil grob verallgemeinernder Fibel, die über die kleinen und großen kulturellen Unterschiede in Indien aufklärt, zeichnet im Kapitel über Hygiene ein eher zweifelhaftes Bild von der Sauberkeit in Indien: Da werde munter auf die Straße gesch..., Plastiktüten flögen in rauen Mengen umher und würden zum letzten Mahl für die heiligen Kühe, die daran ganz unsalbungsvoll zu Grunde gehen und auch sonst sammle sich überall allerhand Unrat. Dabei mangele es gar nicht am Hygiene-Bewusstsein, sogar Bettler wüschen sich täglich und gründlichst und auch die Kleidung muss immer tip-top gebügelt und schmutzfrei sein. Was fehlt, ist der „common sense“. Frei nach dem Motto: Was kümmerts mich, wenn ringsherum alles im Müll versinkt, solange es in den eigenen vier Wänden schön sauber ist.
Wie siehts nun aber in Wirklichkeit hier aus?

Erstaunlicherweise: sehr sauber. Okay, vom Boden essen kann man nicht (dafür ist es zu schlammig), aber in Manipal und Udupi zusammen liegt weniger Müll herum als am Osterdeich nach einem lauen Sommerabend. Diese Regel wird nur in Ausnahmen, dann aber richtig gebrochen: Vor dem zum Innenhof gerichteten Fenster eines Hotelzimmers ragte ein Berg von Plastikflaschen und Tüten dem Betrachter entgegen. Einer hatte wohl die erste Flasche geworfen, die anderen taten es ihm gleich. Es gibt ihn also doch, den indischen Geheimsinn!
Wirklich genau nehmen es die meisten Inder aber mit ihrer Kleidung: Vorbei ist es mit dem relaxten Grundtempo, wenn der Himmel mal wieder seine Schleusen öffnet. Wer keinen Regenschirm hat, flüchtet sich mit hektischen Bewegungen unter Vordächer oder den Schirm eines Bekannten, penibelst darauf achtend, dass auch ja nichts nass wird.

Woran sich wir Westler allerdings nur schwer gewöhnen können, ist die sehr fremdartig anmutende Art der Intimhygiene. Klopapier ist hier wenn nicht unbekannt, so doch allgemein verpönt. Im Traum nicht, so der „Kulturschock“, würde es dem Inder einfallen, Papier an seinen Allerwertesten zu lassen. Und das ist wirklich keine Verallgemeinerung: Abgesehen von der Flughafentoilette habe ich in Indien noch nirgends Klopapier gesehen. Dass viele Restaurants gar keine Toilette haben, macht die Sache natürlich nicht besser.
Der etwas naive Leser mag sich jetzt fragen: Wie löst der Inder dieses Problem denn dann? Die einfache Antwort: in Handarbeit. Hierzu befindet sich neben jedem Klo ein mit Wasser gefüllter Eimer, an dessen Rand ein Messbecher klemmt. Dieser wird wiederum mit Wasser gefüllt und dient nach getaner Arbeit als Neutralisator für die Finger der linken Hand. Abgesehen von der Überwindung, die diese ja schon den Römern bekannte Form der Altlastentsorgung kostet, hat diese Sitte auch Folgen. Denn gegessen wird zwar mit der Hand, aber niemals mit der linken. Ob es diese Apathie gegen die „Kot-Kralle“ so schlimm ist wie in einigen afrikanischen Ländern, wo Linkshänder keine Könige werden dürfen, habe ich noch nicht herausgefunden, dafür aber ein diesbezügliches Fettnäpfchen nicht ausgelassen. Einem Hotelier, der mir zur Verabschiedung die Pranke entgegenstreckte, gab ich gedankenverloren die linke Hand, da ich in der rechten eine Plastiktüte trug. Sofort wendete der Inder den Kopf, zog seine Hand aus meiner und streckte sie zum Gruß neben seinem Kopf in Richtung meiner Mitreisenden, die er immerhin noch gequält anlächelte. Die Hand wollte er ihnen nach dieser für ihn sicherlich furchtbaren Demütigung jedoch nicht mehr geben.

Robin