In der Ferne

Ein halbes Jahr in Indien. Hier schreiben wir unsere Erlebnisse nieder. Fuer Euch umsonst, natuerlich.

Donnerstag, August 18, 2005

Ein Wochenendtrip


Ein langes Wochenende stand bevor: Am Montag, 15. August, jährte sich der indische Unabhängigkeitstag und die Dozenten entschieden, den Unterricht am Sonnabend abzusagen. Für mich hieß das mindestens drei freie Tage, um ein bisschen mehr von Indien zu sehen.
Natürlich war mein erster Gedanke, Goa anzusteuern – aber Santosh und Rohan machten mir ein Strich durch die Rechnung, was, wie ihr sehen werdet, nicht das Schlechteste war.

Santosh wollte mal wieder nach Hause, nach Kodaikanal. Kodai, wie es oft genannt wird, ist eine von vielen hill stations in Indien, Siedlungen auf dem Berg, in denen man es im Sommer gut aushalten kann. Kodai wurde von den Amerikanern in 2100 Metern Höhe um einen See gegründet und diente lange Zeit als Schulort für die Zöglinge. Erst vor rund 30 Jahren durften dort auch Inder die Schulbank drücken.

Als mich Rohan und Santosh also nach meinen Wochenendplänen fragten, musste ich ihnen sagen, dass ich vielleicht nach Goa fahren werde, aber noch nichts geregelt sei. Frank und frei wie die beiden sind, luden sich mich ein, sie auf dem Trip zu begleiten: 15 Stunden Reise um einen der unglaublichsten Orte zu besuchen...
Natürlich schlug ich zu. Allerdings war das am Donnerstag und um einen Schlafplatz im Zug für Freitag zu ergattern, muss man, vor allen Dingen wenn ein Feiertag bevorsteht, meist Wochen im Voraus reservieren! Ich kam auf die Warteliste und ohne zu wissen, ob ich neun Stunden im Zug stehen müsste, machten wir uns am Freitagabend auf den Weg nach Mangalore.

Ich hatte Glück! Tatsächlich stand mein Name auf der Liste für eine Schlafbank. Das Reisen im Zug kann man sich nicht mehr so romantisch vorstellen, wie uns Filme weismachen wollen. Keine Menschenmengen hängen an den Wagons oder stapeln sich auf den Dächern. Zumindest bleiben die Türen meist geöffnet und man kann sich die Landschaft ansehen, was nicht leicht vom Abteil aus geht, denn die vergitterten Fenster sind zu klein.
Da wir nachts reisten, habe ich nicht viel gesehen, außer einem großartigen Sonnenaufgang, als wir in Coimbatore ankamen, eine 1,5 Millionen Stadt und immer noch vier bis fünf Autostunden von Kodai entfernt.

Santosh’ Mutter holte uns mit ihren Auto ab und wir machten uns auf den langen Weg. Die Gegend ist völlig plan und erst nach einer Weile sahen wir die Berge, die wie aus dem Nichts am Horizont erschienen. Der Weg war ein Trip in die Vergangenheit: Hütten aus Bananenblättern, Karren, gezogen von enormen Ochsen, deren Hörner farbenfroh angemalt waren und riesige Palmenwälder. Vorgelagerte Berge trugen Klöstern auf ihren Gipfeln und langsam kamen wir der Bergkette näher.
Der Aufstieg mit dem Auto begann abrupt – plötzlich stiegen wir auf einer kleinen Straße aufwärts, die den alten Passstraßen in Norwegen alle Ehre machen. Kurven über Kurven fuhren wir gen Gipfel und wurden für die Reisestrapazen mit unglaublichen Ausblicken belohnt. Neben uns waren entweder steile Felsen oder, ungeschützt, steile Abgründe.
Nach zwei Stunden erreichten wir Kodai, ein schöner Ort, mit Häusern die wirklich ein wenig amerikanisch anmuteten.

Santosh’ Familie empfing uns mit offenen Armen. Ich war nur ein wenig verwirrt, als ich aus dem Auto stieg und Santosh’ Mutter aus der Haustür kommen sah. Es war ihre Schwester, ein Zwilling, aber so exakt, dass ich meinen Augen nicht trauen konnte und die nächsten zwei Tage ließ mich dieser Umstand in ein Fettnäpfchen nach dem anderen treten – Rohan ging es Gott sei dank nicht anders!

Wobei wir bei Gott wären. Kodai ist sehr christlich und da der Unabhängigkeitstag auf Mariä Himmelfahrt fiel, trafen vor Ort viele Pilger ein, um an der großen Prozession am Montagmorgen teilzunehmen. Indien schien für mich dieser Tage wirklich katholisch zu sein und nirgendwo als auf diesem Gipfel habe ich bisher erfahren, wie viele Inder es eigentlich gibt!
Dennoch hatten wir entspannte Tage bei Temperaturen um die 15 Grad in der Nacht, sehr willkommen für uns, die sonst unter einem geräuschvollen Ventilator schlafen.

Ich würde gerne noch mehr berichten von dem See mit seinen Ruderbooten, den Bisons, die auf dem Golfplatz des nächtens grasen oder von bierseeligen Stunden mit Blick auf die 2500 Meter unter uns liegende Ebene – aber das würde hier den Rahmen sprengen. Bleibt nur zu sagen, dass wir den Montag in einer schummrigen Bar in Coimbatore verbrachten und nach der Zugreise um fünf Uhr morgens in Mangalore aufschlugen.
Die Reise hat mich auf den Geschmack gebracht, noch mehr hill stations zu besuchen, vielleicht im Norden, Darjeeling vielleicht, von wo man einen großartigen Blick auf den Himalaja haben soll. Wenn es dazu kommt, lest ihr natürlich an dieser Stelle den Reisebericht.

Henning